Wir sind füreinander da.

Letztes und dieses Jahr erschienen zwei kleine verschränkte Finger auf unseren Etiketten. Parallel dazu entstand der folgende Text, welcher sich mit einem Thema beschäftigt, vor dem viele Menschen die Augen verschließen oder es als „Privatangelegenheit“ abtun. Für uns Grund genug, um darauf aufmerksam zu machen – denn das Thema geht jede*n etwas an.

„Das Private ist politisch - eine Auseinandersetzung mit Diskriminierung und Gewalt im persönlichen Umfeld”

Auf der Etikettenrückseite sehe ich zwei verschränkte kleine Finger. So ein Finger mag klein sein, klein und unbedeutend, an einem großen Menschenkörper. Doch so ein verschränkter kleiner Finger kann Kraft geben, kann Dir die Zuversicht geben, dass da jemand für dich da ist, dass da jemand aufpasst, wenn es Dir schlecht geht.

Auch während der Pandemie sind einige Menschen von Diskriminierung, Ausgrenzung und verschiedenen Formen der Gewalt betroffen. Einfach weil sie als „nicht weiß“, „nicht normal“, „nicht hetero“, als „nicht männlich“ wahrgenommen werden. Besonders verletzlich sind Personen, die von mehreren Zuschreibungen betroffen sind. Selbst wenn es mittlerweile Standard geworden ist, dass an Veranstaltungen „No Sexsim, No Homophobia, No Racism“ prangt.

Viele von uns sind sich sicherlich einig, dass es in unseren zwischenmenschlichen Beziehungen oft keinen guten Umgang mit Diskriminierung und Konflikten gibt. Ich schreibe diesen Text aus Sicht einer weißen cis-weiblichen Person. Daraus resultierend bin ich von vielen Diskriminierungs-/Gewaltformen gar nicht betroffen. Dennoch sehe ich in meinem eigenen Leben und dem meiner Freund*innen den Schmerz und die emotionalen Wunden, die Machtmissbrauch und sexualisierte Gewalt zurücklassen.

Übergriffiges Verhalten ist auch gar nicht so verwunderlich. Schließlich werden wir alle in einer Gesellschaft sozialisiert, welche auf Konkurrenz statt Kooperation, Individualismus statt Gemeinschaft, Abgrenzung statt Verbundenheit und Ausbeutung statt sozialer Verantwortung beruht. Oft werden wir von dem unsinnigen Gedanken verführt, dass unsere eigenen Privilegien das Resultat harter Arbeit sind, wir dadurch irgendwie das „Recht“ haben über andere zu urteilen, auszugrenzen, zu verletzen. Es ist notwendig, dass wir einander stattdessen mit guter Zustimmung, Respekt, Chancengleichheit und kritischer Solidarität begegnen. Wie können wir es schaffen diese Werte täglich zu erproben?

Das Konzept „community accountability“ oder „kollektive Verantwortungsübernahme“ bietet dafür einen Ansatz. Es stellt dar, dass Gewalt auf struktureller und auf persönlicher Ebene funktioniert. Auf struktureller Ebene offenbart sich, dass einigen Menschen Privilegien gegeben werden, welche andere nicht bekommen. Eine persönliche Ebene sind beispielsweise verletzende Verhaltensweisen. Außerdem wird erkannt, dass Diskriminierung immer auch aus einer Gemeinschaft oder Gruppe kommt, die sie zugelassen und ermöglicht hat. Eine Verantwortungsübernahme dafür kann daher nicht nur die übergriffige und die betroffene Person betreffen. Sie betrifft uns alle. Die strukturelle Komponente von Gewalt können wir beispielsweise delegitimieren, indem wir nicht dem dominanten Typen zuhören, der am lautesten spricht und die coolsten Klamotten trägt. Was ist mit der Person, welche da hinten ganz klein und leise in der Ecke sitzt?

Oft verlassen Betroffene von Diskriminierung unsere Räume, da ihre Erlebnisse relativiert, Gewalt normalisiert und die Täter*innen geschützt werden. Ganz essentiell am Konzept der kollektiven Verantwortungsübernahme ist es zuzuhören, nachzufragen und die Betroffenen darin zu unterstützen selber herauszufinden, was sie brauchen und wie sie es bekommen können. Weitere Schritte können es dann sein ganz explizit Schutzräume zu geben, unser Umfeld zu adressieren, gemeinsam zu reflektieren und Strategien zu entwickeln, die uns gegenseitig unterstützen, empowern und unsere Beziehungen zueinander transformieren. Das kann verdammt schmerzhaft sein. Dieser Prozess kann an unsere Substanz gehen, immer wieder eigene Grenzüberschreitungen und Privilegien offenbaren. Wir werden auch begreifen, dass wir die Möglichkeit besitzen ehrliche, verantwortungsvolle und respektvolle Beziehungen zueinander aufzubauen.

Meiner Meinung nach kann es keine gerechte Gesellschaft, keinen verantwortungsvollen Umgang mit anderen Lebewesen und Ressourcen, keinen nachhaltigen Aktivismus geben, ohne genau diese Art der zwischenmenschlichen Beziehungen. Es könnte sich doch ganz schön mutig anfühlen, wenn wir öfter mal die kleinen Finger verschränken, in der Zuversicht, dass wir füreinander da sind.

(Autorin: Nora)